Mitgefühl

Mitgefühl ist der emotionale Kit einer humanen Gesellschaft – ohne Mitgefühl keine Zivilisation (Baer & Frick-Baer, 2022, S. 236). Unter Mitgefühl wird der emotionale Impuls verstanden, der Menschen dazu treibt, für andere zu sorgen, ihnen zu helfen, sie zu trösten oder ihnen gegenüber Wärme zu empfinden. Zum Mitfühlen gehören positiv, wie auch negativ konnotierte Emotionen (ebd.).

Mitgefühl setzt die Fähigkeit zur Empathie und damit sich in andere hineinzuversetzen zu können voraus. Doch was geschieht dabei bei der Entstehung von Mitgefühl im Gehirn?

  • Bildgebende Verfahren haben gezeigt, dass bei Menschen in beobachtender Position, wie bspw. Mitarbeitende der Behindertenhilfe, dieselben Hirnregionen aktiv sind, wenn sie Klient*innen mit Schmerzen sehen, wie bei der schmerzleidenden Person selbst.
  • Dieses Phänomen wird affektive Resonanz oder Schwingens Synchronresonanz genannt.
  • Dabei spielen die Spiegelneuronen eine entscheidende Rolle (Baer & Frick-Baer, 2022, S. 236).
Bildquelle: Praxis CET, 21. Oktober

Gefahr von zu viel Mitgefühl & Empathie

Obwohl Mitgefühl und Empathie für helfende Berufe unglaublich wichtig ist, können diese Gefühle für die Helfer*innen sehr anstrengend sein. Die Fachpersonen aus helfenden Berufsfeldern müssen viel aushalten und bewältigen können. Es besteht daher das Risiko, dass sie von der Flut an Emotionen und Gefühlen überwältigt und überlastet werden (Bailey, o.J.). Oftmals nehmen die professionellen der Sozialen Arbeit die Rolle einer verständnisvollen und unterstützenden Person ein und unterdrücken dabei die eigenen Bedürfnisse und Emotionen. Dadurch verleihen sie den Klient*innen das Gefühl, dass sie die Mitarbeitenden mit ihren komplexen Problemlagen belasten können. Bezogen auf die emotionale Überlastung ist das ein erheblicher Risikofaktor für die Betreuungspersonen (Wellmann, 2008, S. 38).

Ein „zu viel“ an Mitgefühl und Empathie birgt Gefahren. Menschen mit einem sehr hohen Mass an Mitgefühl und Empathie haben oft Schwierigkeiten um Hilfe zu bitten und ihre eigenen emotionalen Bedürfnisse zu achten. Sie fühlen sich zum Teil schuldig, wenn sie sich auftanken wollen und dabei nicht anderen Menschen helfen (Bailey, o.J.). Hier scheint ein Zitat aus einem Artikel über die Balance von Empathie und Mitgefühl mit der Selbstfürsorge besonders zutreffend – das Zitat ist aus dem Englischen übersetzt:

Empathische Menschen sind das Herz unserer Welt. Wir brauchen sie! Wir können es uns nicht leisten, weiterhin fürsorgliche, mitfühlende, empathische Menschen an Burnout und Erschöpfung zu verlieren. Wir müssen eine Gesellschaft fördern, die die Pflegenden nährt, den Helfern hilft und sich um die Kümmerer kümmert.

Bailey, J. (o.J.). Balancing Empathy and Self-Care. https://centerstone.org/our-resources/health-wellness/balancing-empathy-and-self-care/

Checkliste Warnsignale

Unser Körper sendet Signale aus, welche uns mitteilen wollen, das eine Pause notwendig ist und wir Menschen zu unserem Selbst sorge tragen sollten (Länger, 2018, S. 31). Es gilt also auch ein Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln. Mögliche Warnsignale strukturiert in körperliche, psychisch-emotionale Signale und soziale Verhaltensweisen sind:

Körperliche Warnsignale
  • Chronische Müdigkeit und Schlafprobleme
  • Kopfschmerzen
  • Rückenschmerzen
  • Verspannungen
  • Ohrgeräusche
  • Geschwächtes Immunsystem
  • Kreislaufprobleme
  • Magen-/Darmbeschwerden
Psychisch-emotionale Warnsignale
  • Ängste
  • Unruhe
  • Vulnerabilität
  • Gehetzt sein
  • Vermehrt gereizt/genervt sein
  • Verstimmungen
  • Vermehrt verärgert/wütend sein
  • Selbstzweifel
  • Frustration
  • Gleichgültigkeit
Soziale Verhaltensweisen
  • Rückzug/Ruhebedürfnis
  • Häufige Konflikte
  • Oft anderen Vorwürfe machen
  • Veränderungen im Essverhalten wie Appetitlosigkeit oder übermässiges Essen
  • Sturheit
  • Vernachlässigung von sozialen Kontakten

Wichtig ist zu erwähnen, dass ein einmaliges Vorkommen solcher Symptomen nicht bedeutet, dass ein Burnout droht. Vielmehr sollten die Warnsignale bei regelmässigem Auftreten darauf aufmerksam machen, dass man sich kritisch reflektiert und sich allenfalls fragt, ob man genug Zeit für seine Selbstfürsorge investiert.

Selbstreflexion

Betrachte deine Warnsignale im Gesamten und aus einer anderen Perspektive. Stelle dir vor, eine fremde Person würde dir von deinen Symptomen erzählen. Für den Perspektivenwechsel kannst du dir Zeit für die Beantwortung folgender Fragen nehmen:

  • Wie interpretierst du die Symptome?
  • Was ratest du der Person?
  • Was empfiehlst du ihr, ab sofort nicht (mehr) zu tun?

Rat und Hilfe

Affirmationen für mehr Selbstmitgefühl

Affirmationen sind positive Selbstbekräftigungen, die bewusst wiederholt werden, um sie zu verinnerlichen (Schmitt, 2022). Studien zeigen, dass Worte die neuronalen Strukturen im Gehirn positiv verändern können. Sie unterstützen dabei, negative Gedanken und Überzeugungen aufzulösen, den eigenen Selbstwert zu stärken und mehr Selbstvertrauen aufzubauen (Croos-Müller, 2022).

Mady Morrison leitet dich durch die Übung. Die Übung wird als Start in den Tag empfohlen, kann jedoch problemlos auch im Laufe des Tages durchgeführt werden. Diese 50 Affirmationen können dir dabei helfen, dir selbst mit mehr Selbstmitgefühl zu begegnen und mit positiven Gedanken durch den Tag zu gehen.

Übungen zur Widerherstellung einer gesunden Balance

Um im Berufsalltag nachhaltig gesund arbeitsfähig zu bleiben ist eine Balance von Empathie, Mitgefühl und Selbstfürsorge wichtig. Dies bedeutet jedoch nicht zwingend „ich zuerst“, sondern ganz einfach „ich auch“. Dafür sollten Ventile geschaffen werden, in denen Fachkräfte ihre eigenen Emotionen regulieren und auf sich selbst hören können. Es gilt die Signale des eigenen Körpers zu achten (Bailey, o.J.). In der folgenden Tabelle finden sich konkrete Möglichkeiten, um eine gesunde Balance von Mitgefühl, Empathie und Selbstfürsorge herzustellen:

Selbstmitgefühl entwickelnAchte fürsorglich zu dir selbst und akzeptieren deine eigenen Grenzen. Selbstmitgefühl bedeutet, sich gegenüber die gleiche Freundlichkeit und das gleiche Verständnis entgegenzubringen, die man den Klient*innen in schwierigen Zeiten zeigen würde. Akzeptanz bedeutet, die Realität der Situation anzuerkennen, ohne zu versuchen, sie zu ändern oder zu leugnen. Wenn ich also erschöpft bin, sollte man dieses Gefühl akzeptieren und dementsprechend Raum für eine Reduktion von Stressoren und Genesung schaffen.
Zeit und Raum für Genesung schaffenPausen sind entscheidend, um sich körperlich und mental zu erholen. Dazu können kurze Spaziergänge, Achtsamkeitsübungen, Gespräche mit Kolleg*innen oder Zeit für sich selbst dienen. Leichte Bewegung in der frischen Luft kann Wunder bewirken. Mentale Erholungsphasen sind besonders wichtig, um den Geist von der ständigen Aufmerksamkeit und den emotionalen Belastungen zu entlasten.
Grenzen setzenWie oben bereits erwähnt, tendieren Menschen mit viel Empathie dazu, mehr für andere als für sich zu sorgen. Daher ist folgernd anzunehmen, dass es hilfreich sein kann Grenzen zu setzen. Anstatt für jeden Dienst einzuspringen, darf man durchaus auch mal „nein“ sagen und etwas für seine Selbstfürsorge unternehmen. Konkrete Übungen findest du unter dem Oberthema „Abgrenzung“. Dort wird genauer erläutert, wie man „Nein“ sagen kann.
PsychohygieneMit verschiedenen Übungen der Psychohygiene kannst du seelischen Ballast loswerden. Unter Psychohygiene kann man den Schutz der eigenen psychischen Grenzen, die Fähigkeit sich innerlich von Belastendem abzugrenzen verstehen. Das regelmässige Händewaschen kann dazu genutzt werden, sich von belastenden Gedanken- oder Seelenmüll zu befreien. Jedes Mal beim Waschen der Hände denkst du dir, dass die negativen belastenden Emotionen in den Abfluss fliessen und damit verschwinden. Dieselbe Übung kann auch mit Post-it-Zetteln oder einem Dokument auf dem PC gemacht werden. Man schreibt die negativen Erlebnisse währen der Arbeitsschicht auf und wirft die Post-it-Zettel am Abend in den Abfall oder löscht das Dokument auf dem PC. Dabei kannst du den folgenden Satz sagen: „Ich lasse los“. Rituale zum Abschluss des Dienstes können ebenfalls hilfreich sein einen Übergang in den Feierabend zu gestalten. Einerseits kannst du die Armbanduhr wechseln oder einfach abziehen, sich umziehen oder das Handy bis du zuhause bist ausschalten. Wenn du mit dem ÖV reist, empfiehlt es sich gedanklich vorzustellen, wie die seelische Last bei der Haltestelle wo du aussteigen musst, im Bus weiterfährt.
Tabelle Rat & Hilfe Mitgefühl, Empathie und Selbstfürsorge eigene Darstellung in Anlehnung an Länger (2018)
Body 2 Brain – Selbstvergebung

Bist du oft selbstkritisch? Findest du es schwierig, dir selbst Fehler und verpasste Chancen zu vergeben? In der Psychoanalyse wird dies als strenges Über-Ich bezeichnet. Dieses Über-Ich repräsentiert eine innere Autorität, die wir übernommen haben und die verhindert, dass wir uns selbst oder anderen vergeben können.

Die folgende Übung zielt darauf ab, Selbstvergebung zu fördern. Verschiedene Berührungen können helfen, die Vorstellung des Vergebens zu unterstützen und ein positives Gefühl hervorzurufen – fester Faustdruck, sanfte Hautberührungen oder klopf dir selbst mal auf die Schulter, lächel dir zu oder umarme dich (Croos-Müller, 2022, S. 219-220)!

  • Setze dich aufrecht und entspannt hin.
  • Schliesse die Augen und atme ruhig und regelmässig.
  • Stelle dir eine Situation vor, in der es dir schwergefallen ist, eigene Fehler zu vergeben.
  • Nimm diese Erinnerungen und die zugehörigen Gefühle fest in die Hand und mache eine Faust.
  • Atme dann aus und lass los.
  • Öffne deine Hand und strecke die Finger aus, während du Selbstvorwürfe, Schuldgefühle und Wut auf dich selbst loslässt.
  • Wiederhole die Übung mindestens dreimal.
  • Lege anschliessend deine Hand auf deine Herzgegend, um ein Gefühl der Ruhe und Vergebung zu spüren.
  • Diese Berührung verstärkt die Verbindung über den Körper hinweg und unterstützt die Verankerung der Vorstellung von Vergebung in den Gedächtnis- und Emotionsarealen des Gehirns (ebd.).
Body 2 Brain – wertschätzendes Selbstgespräch
  1. Lege deine Hand auf deine Brust, um einen guten sensorischen Impuls zu geben.
  2. Lächle, um die Hirnnerven im Hirnstamm zu stimulieren.
  3. Und jetzt: Führe ein liebevolles Selbstgespräch, entweder gedanklich oder noch besser, laut hörbar. Lobe dich selbst, zähle deine positiven Eigenschaften auf und erzähle dir, was du an dir schätzt.
  4. Sprich dich dabei explizit mit deinen Vornamen an.
  5. Wiege dich sanft von rechts nach links. Diese Bewegung hat eine stabilisierende Wirkung auf dein Gehirn und fördert die Selbstakzeptanz (Croos-Müller, 2022, S.185).
Meditation – Selbstmitgefühl stärken

Diese kurze Meditation lässt sich mühelos in einer Arbeitspause oder zur Vor- und Nachbereitung eines Dienstes durchführen. Ihr Ziel ist es, das Selbstmitgefühl zu stärken. Dr. Christine Brähler, Psychotherapeutin, Autorin und internationale Lehrerin im Bereich Selbstmitgefühl, leitet diese Achtsamkeitsübung an. Sie unterstützt dich dabei, emotional belasteten Teilen von dir mit liebevoller und mitfühlender Aufmerksamkeit zu begegnen.

Buchempfehlung

„Selbstmitgefühl: Liebevoller werden mit sich selbst“ von Christine Brähler lädt dazu ein, eine neue Perspektive auf Leid und Herausforderungen zu entwickeln. Statt mit Widerstand zu reagieren, plädiert die Autorin dafür, sich selbst wie einen geliebten Menschen zu behandeln: mit Trost und Ermutigung. Diese innere Haltung des Selbstmitgefühls erfordert Mut und führt dazu, dass wir unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen mit mehr Wohlwollen und Weisheit begegnen können. In diesem Buch werden praktische Wege vermittelt, wie Selbstmitgefühl helfen kann, sich durch schwierige Zeiten zu navigieren und die Selbstakzeptanz zu stärken.


Bezugsliteratur

Baer, U. & Frick-Baer, G. (2022). Das grosse Buch der Gefühle (5., überarb. Aufl.). Betz.

Bailey, J. (o.J.). Balancing Empathy and Self-Care. https://centerstone.org/our-resources/health-wellness/balancing-empathy-and-self-care/

Croos-Müller, C. (2022). Kraft: Der neue Weg zu innerer Stärke, ein Resilienztraining (5. überarb. Aufl.). Kösel.

Länger, A. (2018). Gesund und Leistungsfähig Im Job: Die Besten Strategien und Übungen Für Den Arbeitsalltag (1. überarb. Aufl.). Haufe-Lexware Verlag.

Schmitt, K. (2022). Was sind Affirmationen und wie helfen sie in der Therapie? Heiligenfeld. https://www.heiligenfeld.de/blog/was-sind-affirmationen

Wellmann, J. (2008). Das Burnout-Syndrom in der Sozialen Arbeit. Eine Bestandsaufnahme. VDM Verlag Dr. Müller.